Entwicklungen in der Sozial- und Gesundheitswirtschaft

Im Berichtsjahr bewegten sich die Einrichtungen und Dienste der Sozial- und Gesundheitswirtschaft in einem zunehmend herausfordernden Marktumfeld. Belegungsrückgänge aufgrund des Fachkräftemangels, steigende Personalkosten und sonstige inflationsbedingte Kostensteigerungen spiegeln sich weiterhin nicht in der Vergütung von Gesundheits- und Krankenversorgungsleistungen wider. Zusätzlich stellt der inflationsbedingte Wertverlust branchenübergreifend eine erhebliche Belastung dar.

„Die Vorschläge der Politik reichen für die Sicherstellung der künftigen Versorgung nicht aus. Und die Vorschläge der Branche selbst werden zu wenig gehört. Es sind jetzt schnelle politische Entscheidungen erforderlich, die eine tragfähige Versorgung gewährleisten.“

Prof. Dr. Harald Schmitz, Vorstandsvorsitzender

Das dritte Trendbarometer Gesundheits- und Sozialwirtschaft, welches von der SozialGestaltung GmbH vom 16. August bis zum 16. Oktober 2023 durchgeführt wurde, zeigt, dass branchenübergreifend mehr als die Hälfte der befragten Einrichtungen für 2023 ein negatives Jahresergebnis erwartet. Gegenüber dem Vorjahr ist dieser Anteil um rund 22 Prozentpunkte gestiegen. Zudem hält fast die Hälfte der Befragten die wirtschaftliche Situation ihres Unternehmens auch in den kommenden sechs Monaten für angespannt. Dieser Wert ist innerhalb eines Jahres um 32 Prozentpunkte nach oben geschnellt. Diese Situation sorgt für Unsicherheit und führt zu Zurückhaltung bei den Marktteilnehmern und Investoren. Die jüngsten Befragungsergebnisse unterstreichen erneut den Bedarf an einem kurzfristigen, zielgerechten Ausgleich der gegenwärtigen Mehrkosten, um die flächendeckende Versorgung weiterhin zu gewährleisten. Die Herausforderungen spiegeln sich in einem spürbaren Anstieg der Insolvenzen im Jahr 2023 wider, insbesondere bei Pflegeheimen und -diensten sowie Krankenhäusern.

  • Marktunsicherheit dämpft Transaktionsdynamik

    Im Verlauf der ersten drei Quartale des Jahres 2023 verzeichnete der deutsche Markt für Gesundheitsimmobilien ein erheblich geringeres Transaktionsvolumen im Vergleich zu den vorangegangenen fünf Jahren. Bis einschließlich September 2023 belief sich das Transaktionsvolumen auf 840 Millionen Euro – und lag damit 62 Prozent unter dem Niveau des Vorjahreszeitraums. Für das Gesamtjahr 2023 zeichnet sich ein Volumen von rund 1 Milliarde Euro ab (Vergleich 2022: 2,4 Milliarden Euro). Die Zurückhaltung lässt sich insbesondere auf erheblich gestiegene Zinsen, ein konjunkturell schwächeres Umfeld, einen Mangel an geeigneten Produkten sowie die herausfordernde wirtschaftliche Lage einiger Betreiber zurückführen.

  • PUEG bringt Verbesserungen – eine Reform der Pflegeversicherung steht weiterhin aus

    Seit dem 1. Juli 2023 ist das Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG) in Kraft. Mit dem Gesetz sollen die im Koalitionsvertrag vereinbarten Leistungsverbesserungen in der Pflegeversicherung umgesetzt werden. Hierzu zählen insbesondere die Anhebung der Leistungszuschläge der Pflegekassen zur Reduktion der pflegebedingten Eigenanteile in der stationären Pflege auf bis zu 75 Prozent sowie des Pflegegelds und der ambulanten Pflegesachleistungsbeträge um jeweils fünf Prozent zum 1. Januar 2024. Ab dem 1. Januar 2028 sollen diese Geld- und Sachleistungen regelhaft an die Preisentwicklung gekoppelt werden. Weitere Ansatzpunkte des PUEG sind eine künftige Flexibilisierung der Inanspruchnahme von Kurzzeit- und Verhinderungspflege, bessere Arbeitsbedingungen für professionell Pflegende sowie digitale Angebote für pflegebedürftige Personen und Pflegekräfte.

    Zur Gegenfinanzierung der Leistungsverbesserungen wurde mit dem PUEG auch eine Anhebung der Beitragssätze zur sozialen Pflegeversicherung zum 1. Juli 2023 beschlossen. Die geplanten Zusatzeinnahmen belaufen sich auf rund 6,6 Mrd. Euro pro Jahr. Zusammen mit dem Wegfall der Zahlungen an den Vorsorgefonds im zweiten Halbjahr zeichnet sich für das Jahr 2023 ein spürbarer und für 2024 ein leichter Überschuss der sozialen Pflegeversicherung ab. In den Folgejahren werden die weiteren Leistungsdynamisierungen und die demografische Entwicklung die Pflegefinanzen wieder zunehmend unter Druck setzen.

  • Ausweitung der Kompetenzen von Pflegekräften geplant

    Im Januar 2024 präsentierte das Bundesgesundheitsministerium die vorläufigen Eckpunkte eines Gesetzes zur Reform der Pflegekompetenz. Das übergeordnete Ziel besteht darin, die gesetzlichen Handlungs- und Entscheidungsspielräume von Pflegekräften in der Altenhilfe und in Gesundheitseinrichtungen zu erweitern. Hierfür soll das Berufsbild der Pflegefachkräfte verstärkt akademisiert und nach internationalen Vorbildern weiterentwickelt werden.

    „Das geplante Gesetz zur Ausweitung der Pflegekompetenzen könnte erheblich zur dringend notwendigen Steigerung der Attraktivität des Pflegeberufes beitragen.“

    Thomas Kahleis, Mitglied des Vorstandes

  • Prozess der Krankenhausreform bringt Planungsunsicherheit für die Kliniken

    Das Bundesgesundheitsministerium arbeitet an einer umfassenden Reform der Leistungsvergütung von Krankenhäusern sowie an einer tiefgreifenden Neustrukturierung der stationären akutmedizinischen Versorgungslandschaft und der Notfallversorgung. Zentrale Zielsetzung ist neben der Entökonomisierung – z. B. in Form von Vorhaltepauschalen – eine Steigerung der Behandlungsqualität, eine Entbürokratisierung sowie die Gewährleistung der Versorgungssicherheit. Die geplante Krankenhausreform wird die Zentralisierung, Spezialisierung und Ambulantisierung der akutmedizinischen Versorgung durch Krankenhäuser beschleunigen. Anhaltende Differenzen zwischen Bund und Ländern gestalten den Gesetzgebungsprozess äußerst herausfordernd. Die Kliniken haben aktuell keine Planungssicherheit. Zudem sind die mit einem Teilgesetz der Reform verknüpften Liquiditätshilfen für die Kliniken blockiert. Mittel- bis langfristig könnten Kliniken mit hoher Betreiberkompetenz und der notwendigen Investitionsfähigkeit gestärkt aus der geplanten Transformation des Krankenhaussektors hervorgehen.

  • Gesetzliche Vorgaben für Nachhaltigkeit werden vorangetrieben

    Am 5. Januar 2023 ist die EU-Richtlinie zur erweiterten Berichtspflicht zu Nachhaltigkeitsthemen (Corporate Sustainability Reporting Directive bzw. CSRD) in Kraft getreten. Sie verpflichtet auch zahlreiche Unternehmen und Organisationen der Sozial- und Gesundheitswirtschaft zur Veröffentlichung eines Nachhaltigkeitsberichts ab dem Geschäftsjahr 2025. Ein wesentlicher Teil der Nachhaltigkeitsberichterstattung sind die European Sustainability Reporting Standards (ESRS), welche die Informationen festlegen, die im Rahmen der Nachhaltigkeitsberichterstattung dargelegt werden müssen. Am 1. Januar 2024 sind die Kernstandards für die Berichterstattung in Kraft getreten. Über konkrete Berichtsvorgaben hinaus sind die ESRS auch für nicht berichtspflichtige Unternehmen und Organisationen ein Orientierungsrahmen für die Nachhaltigkeitsstrategie.

    Eine Fortentwicklung gab es auch bei der Implementierung von Nachhaltigkeit in den Finanzmärkten. Die EU-Taxonomie wurde um vier Umweltziele, zusätzliche Vorgaben im Bereich der Klimaziele und zusätzliche Wirtschaftsaktivitäten erweitert. Zudem hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) Ende Juni 2023 eine Novellierung der Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) deutscher Kreditinstitute abgeschlossen. Damit wurden Nachhaltigkeitsaspekte in die Kreditvergabe und -überwachung von Banken integriert. 

    „Die stark steigenden Anforderungen an die Nachhaltigkeit stellen die Sozialunternehmen ebenso wie die Banken vor große zusätzliche Herausforderungen.“

    Oliver Luckner, Mitglied des Vorstandes

    Seit dem 1. Januar 2023 gilt in Deutschland das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) für Unternehmen mit mindestens 3.000 Mitarbeitenden. Ab 2024 erweitert sich der Geltungsbereich des Gesetzes auf Unternehmen mit mindestens 1.000 Mitarbeitenden. Unternehmen in Deutschland werden dadurch verpflichtet, menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten im Rahmen ihrer Lieferkette in angemessener Weise zu betrachten. Ein Kernelement des Gesetzes ist die Einrichtung eines Risikomanagements, um Menschenrechtsverletzungen und Schädigungen der Umwelt zu identifizieren und zu vermeiden oder zu minimieren.

    Weiter in der Verhandlung befindet sich eine europäische Richtlinie zu Nachhaltigkeitsaspekten in den Lieferketten (Corporate Sustainability Due Diligence Directive bzw. CSDDD). Durch sie würden in der EU ansässige Unternehmen mit gewissen Umsatzschwellen in Zukunft verpflichtet, entlang ihrer gesamten Wertschöpfungskette Verantwortung für die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutzstandards zu übernehmen. Dabei soll der Fokus der Unternehmensverantwortung über den eigenen Wirkungsbereich hinaus erweitert werden. Die CSDDD würde in ihrer jetzigen Form deutlich über den Anwendungsbereich des LkSG hinausgehen.

    Mit ihrer Kernarbeit leistet die Sozial- und Gesundheitswirtschaft bereits einen weitreichenden Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung der Gesellschaft. Dennoch sind auch soziale Organisationen in zunehmendem Maße aufgefordert, mit den regulatorischen Anforderungen Schritt zu halten. Um die Akteure in der Sozial- und Gesundheitswirtschaft bei dieser anspruchsvollen Aufgabe zu unterstützen, haben die SozialGestaltung GmbH und die SozialBank bis Anfang 2024 insgesamt vier Bände der Fachserie „Erfolgsfaktor Nachhaltigkeit in der Sozialwirtschaft“ veröffentlicht. Die Fachserie nimmt die allgemeinen Rahmenbedingungen und Anforderungen an ein nachhaltiges Sozial- und Gesundheitswesen in den Blick, zeigt die Chancen von Nachhaltigkeit für die Unternehmensentwicklung sowie praxisnahe und lösungsorientierte Handlungsimplikationen für Unternehmen auf und gibt Orientierung für eine nachhaltige Geldanlage. 

  • Entwicklungen auf europäischer Ebene

    Auf europäischer Ebene stand auch das Jahr 2023 im Zeichen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Die EU hat die Solidarität mit und fortlaufende Unterstützung der Ukraine bekräftigt. Zudem hat sie angesichts der politischen Tendenzen in verschiedenen Mitgliedsstaaten Maßnahmen auf die Agenda gesetzt, um die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu stärken und auf eine pluralistische, gerechte und integrative Gesellschaft in Europa hinzuwirken.

    In der Sozialpolitik wurden verschiedene Maßnahmen zur Umsetzung der 2017 proklamierten Europäischen Säule sozialer Rechte vorangetrieben, darunter eine Ratsempfehlung zur Entwicklung der Rahmenbedingungen für die Sozialwirtschaft. Diese soll den Mitgliedsstaaten Orientierungshilfen für die Förderung günstiger politischer und rechtlicher Voraussetzungen an die Hand geben. Die Sozialwirtschaft ist in den Mitgliedsstaaten in unterschiedlichem Maße entwickelt und birgt noch unausgeschöpfte Potenziale.

    Gesundheitspolitisch stand der Ausbau der Europäischen Gesundheitsunion im Fokus. Die Hauptziele umfassen die Stärkung der Prävention, eine höhere Widerstandsfähigkeit der Gesundheitssysteme und die Steigerung der Ressourceneffizienz im Hinblick auf Arzneimittel, Medizinprodukte und medizinisches Personal. Darüber hinaus wird verstärkt an der Schaffung digitaler Infrastrukturen gearbeitet, einschließlich eines europäischen Rahmens für Gesundheitsdaten.

  • Ausblick

    Für die deutsche Volkswirtschaft zeichnet sich eine längerfristige Wachstumsschwäche ab. Maßgebliche Gründe sind der zunehmende Arbeitskräftemangel, reduzierte Wachstumsimpulse aus dem Ausland, langfristig erhöhte Energiekosten, ein inflationsbedingter Verlust von Realeinkommen und -vermögen sowie eine eingeschränkte Investitionsfähigkeit privater Investoren und des Staates.

    Die trüben Wachstumsperspektiven erschweren die Bewältigung gesamtgesellschaftlicher Handlungsfelder wie die demografische Entwicklung, soziale Sicherung, Modernisierung der Infrastruktur, Dekarbonisierung, Landesverteidigung und Bildung. Die sich daraus ergebenden Verteilungskämpfe um personelle und finanzielle Ressourcen werden zunehmend auch in den Branchen der Sozial- und Gesundheitswirtschaft spürbar sein.

    Vor diesem Hintergrund sind die Anbieter verstärkt gefordert, auf den steigenden Leistungs- und Kostendruck mit betrieblichen Anpassungen von Angeboten, Einrichtungen und Unternehmensstrukturen zu reagieren. Diese Anpassungen setzen eine ausreichende Investitionsfähigkeit voraus. Da eine entsprechende Kapitalbereitstellung durch öffentliche Haushalte voraussichtlich nicht zu erwarten ist, wird der Bedarf der Sozialunternehmen an Kredit- und Kapitalmarktmitteln weiter zunehmen.

    Auch für diesen Zweck sind die Einrichtungen dazu angehalten, Daten transparent und zeitnah zur Verfügung zu stellen. Eine Standardisierung und Digitalisierung von Verwaltungs- und Dienstleistungsprozessen sind unerlässlich, um die Effizienz zu erhöhen. Die zunehmende Relevanz von Digitalisierung sowie Fragen zur Nachhaltigkeit von Betriebsführung und Immobilienbestand erfordert eine Integration dieser Themen in die strategische Planung. Hierbei bietet sich der Sozial- und Gesundheitswirtschaft die Möglichkeit, eine Vorreiterrolle in der Gesellschaft einzunehmen und dadurch von den damit verbundenen Vorteilen, beispielsweise auf dem Bewerbermarkt, zu profitieren.